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Includes the names: Frank Bosch, Frank Bösch

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Wer glaubte nach dem Zusammenbruch des Kommunismus gäbe es einen internationalen Run auf Demokratien, sah sich rasch tief enttäuscht. Schon immer war es notwendig, mit Staatsformen Handel zu treiben, die der Demokratie wenig ähnelten. In diesem Buch erfahren wir, wie Deutschland in diesem Zusammenhang agierte und auch heute noch handelt.

„Bei seinen Auslandsaufenthalten traf der Altkanzler Gerhard Schröder Assad in Syrien, die Machthaber Irans, und bei seinem Chinabesucht kritisierte er Merkel, weil sie die Unterdrückung Tibets moniert hatte.“ Bei mir stellte sich schon immer die Frage, warum bei einer Beteiligung der Grünen an der Regierung Kriege geführt werden und weshalb SPD-Obere deutsche Wirtschaftsinteressen besonders männerbündisch vertreten, dabei aber Menschenrechte ignorieren.

Die Annäherung an Russland bzw. der Handel mit diesem riesigen, rohstoffreichen Land nahm schon unter Kohl Fahrt auf und sollte bis Merkel so weiter gehen. Die danach einsetzenden Sanktionen waren/sind stumpfe Waffen, die „….leicht in einer globalisierten Welt zu umgehen sind.“

Stattdessen musste Deutschland teurer in anderen Autokratien einkaufen (z.B. Aserbaidschan), um noch weniger auf Menschenrechte achten zu können (Bergkarabach/Arzach-Konflikt).

Frank Bösch beschreibt in diesem lesenswerten Buch die Geschichte der BRD von Adenauer bis heute und skizziert die unterschiedlichen Ausgangs- bzw. Weltlagen ganz hervorragend und verständlich.

„Autokratische Herrschaft und Menschenrechtsverletzungen in antikommunistischen Staaten wurden in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten selten thematisiert. Politiker, Diplomaten, Experten und Journalisten äußerten sogar oft Verständnis für das Regieren mit „starker Hand“, da die südlichen Staaten noch nicht reif für die Demokratie seien und dort andere kulturelle Grundlagen beständen.“ Hier ergab sich sogar eine Art selbst-entlastende Zusammenarbeit und oft waren dabei noch ehemalige Mitarbeiter der NS-Zeit beteiligt.

In den 60ern gab es zum ersten Mal migrantische Proteste in Deutschland, die vor allem aus dem Studentenbereich unterstützt wurden. „Die Migranten sprachen von KZs, Vernichtungslagern oder dem Faschismus in ihren Heimatstaaten. Dies verband den Folter in der Ferne mit der deutschen Geschichte.“

In den 70er Jahren intensivierte sich der Kontakt bzw. Austausch mit Diktaturen, trotz des Mehr Demokratie wagen von Brandt. Heute kommen jene Diktaturen zum Zug (für einen Handelsaustausch oder Gaslieferungen), die weniger im Rampenlicht stehen. „Die wirtschaftliche Stärke der Bundesrepublik ist weiterhin ein potentielles Faustpfand, um für Menschenrechte einzutreten.“ (S. 501)
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Clu98 | Apr 3, 2024 |
"Zeitenwende 1979" ist, finde ich, ein insgesamt sehr kluge und lesenswerte historische Abhandlung. Sie will anhand von zehn ausgewählten weltbewegenden Ereignissen des Jahres 1979 gleichsam die Vorgeschichte der politischen und sozialen Entwicklungen zeigen, die heute unsere öffentliche Wahrnehmung prägen.
Zu diesen 10 Ereignissen gehören
1. Die Revolution im Iran (Khomeini kommt an die Macht)
2. Papst Johannes Paul II. in Polen
3. Die Revolution in Nicaragua
4. Chinas Öffnung unter Deng Xiaoping
5. Die Boat-People aus Vietnam
6. Der sowjetische Einmarsch in Afghanistan
7. Thatchers Wahl und die Gründung der Grünen
8. Die zweite Ölkrise
9. Der AKW-Unfall bei Harrisburg
10. Die Fernsehserie "Holocaust"

Insbesondere das Kapitel 3 über Nicaragua, Kap. 4 über die Boat People, Kap. 5 über China und 6 über das Scheitern der Sowjets in Afghanistan waren für mich ausgesprochen erhellend. Ich hatte zwar als Kind ein paar Schlagworte mitbekommen, wusste aber z.B. nichts über die Hoffnungen der Linken in das neue Modell Nicaragua, nachdem die Sandinisten dort an die Macht gekommen waren; auch die Iran-Contra-Affäre kannte ich nur als Begriff, aber nicht den veritablen Skandal, der sich dahinter verbirgt. Hoch spannend auch die politische Instrumentalisierung der so genannten Boat People, Flüchtlinge aus dem kommunistischen Vietnam (Stichtwort "Cap Anamur"), bei dem sich die heute bekannten Rollen in der politischen Landschaft komplett anders verteilt haben: CDU-Politiker fordern die Aufnahme der Flüchtlinge aus dem kommunistischen Land, während die Linke ein Problem damit hat, Kommunismus als Fluchtgrund zu akzeptieren.

Gut finde ich auch etwa besser zu verstehen, weshalb die Sowjets überhaupt in das doch eigentlich völlig bedeutungslose Land Afghanistan einmarschiert sind. Lesson learned? Es gibt keine langfristig tragfähigen Koalitionen zwischen Ideologie und Religion (z.B. Stellvertreterkrieg in Afghanistan in den 1980ern => Islamistischer Terror heute)

Leider nicht ganz so gelungen finde ich aus verschiedenen Gründen die Kapitel 7 bis 9, die ich teilweise als etwas zahlenlastig und wenig lebendig empfunden habe. Bei Thatcher hätte ich mir noch mehr hermeneutische Anstrengung gewünscht, bei der Gründungsgeschichte der Grünen mehr Einblick in das Chaos der Anfangsjahre - auch wenn die Verbindung von Neoliberalismus und ökosozialer Bewegung in einem Kapitel am Ende durchaus plausibel erscheint. Manchmal vergisst Bösch auch, wichtige Begriffe zu erklären, z.B. den "NATO-Doppelbeschluss". Kann man zwar im Internet nachschlagen, es wäre aber trotzdem netter, wenn's gleich im Buch erläutert würde.

Aus historiographischer Sicht spannend finde ich, die Ausstrahlung einer Fernsehserie als weltgeschichtliches Ereignis zu interpretieren, bin aber (noch) nicht restlos überzeugt, ob dies wirkungsgeschichtlich gerechtfertigt ist.

Insgesamt überzeugt mich das Konzept der Studie. Die Auswahl der Ereignisse ist sorgsam und durchdacht, weil es Bösch gelingt, die jeweiligen Bezüge zur Gegenwart klar herauszustellen. Weiterhin wird in jedem der Kapitel klar, dass jedes der Ereignisse wiederum nur als Ergebnis und Symptom von z.T. seit Jahren laufenden Prozessen verstanden werden kann. Man erhält also mit dem Fokus auf das Jahr 1979 ein Verständnis für den gesamten historischen Kontext und die globale Einbettung - auch wenn die Perspektive deutlich "germanozentrisch" geprägt ist. Das finde ich aber vertretbar und methodisch legitim.

Ein sehr lesenswertes, instruktives Buch für alle, die die Gegenwart noch ein bisschen besser verstehen wollen.
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Florian_Brennstoff | Jul 31, 2019 |

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